Pierre Jarawan
berlin Verlag, 2020
22,00 EUR
ISBN: 978-3-8270-1365-1
455 Seiten
“mamihlapinatapai - ein Wort fasst eine ganze Welt zusammen: Zwei Menschen schauen einander an, und beide wünschen sich, die andere Person würde den Mut aufbringen, das Gegenüber anzusprechen.”
Amin kehrt in den 90er-Jahren mit seiner Großmutter aus Deutschland in den Libanon zurück. Seine Heimat, die er bislang nicht kennt. 1981 sind die beiden aus dem Libanon nach Deutschland geflohen, nachdem seine Eltern spurlos verschwunden sind. Warum sie zurückkehren, versteht Amin nicht. Wie er so vieles in seiner neuen alten Heimat nicht versteht. Erst Jahre später fügen sich nach und nach die Puzzleteile zu einer zusammenhängenden Geschichte zusammen. “Die so oder eben auch anders gewesen ist.”
Pierre Jarawan thematisiert in seinem Buch “Ein Lied für die Vermissten” die über 17.400 Menschen, die seit Jahrzehnten im Libanon vermisst werden und um die es sehr still geworden ist. Das Schweigen, das sich durch das komplette Buch zieht, ist für den Protagonisten Amin allgegenwärtig und zeigt uns, wie schwer die Trauer und die Verzweiflung für die Hinterbliebenen wiegt.
“Es ist der Versuch, etwas festzuhalten, das sich nicht festhalten lässt. So steht am Anfang der Kunst die Angst vor dem Vermissen.”
Die Erzählungen, die Amin zusammenträgt, spielen in knapp drei Jahrzehnten. Für den Leser ist nicht immer sofort ersichtlich, wann es Zeitsprünge gibt. Das kann die Geschichte an manchen Stellen etwas ungreifbar machen, mich persönlich hat es überhaupt nicht gestört, es stellte für mich eher das Erinnern an die Vergangenheit dar. Und machte auch noch einmal den Wunsch von Amin deutlich, Dinge zu verstehen, die ihm lange verschwiegen wurden, um ihn zu beschützen.
Hinzu kommt eine wundervolle und inspirierende Erzählsprache, die eine fiktive Geschichte vor einem realen politischen Hintergrund im Nahen Osten sehr lebendig und persönlich werden lässt.
“Es heißt, wir sind die Summe unserer Erinnerungen, unsere Identität sei wie ein Teppich kunstvoll aus diesen Fragmenten gewebt. Doch auf welche Weise formen uns die Dinge, die wir vergessen, verdrängt oder vielleicht nie richtig verstanden haben? Und wie füllen wir unsere Leerstellen aus? Mit Geschichten. Das ist die Antwort.”
Das Buch haben wir zusätzlich zu unserer Januarrunde bei @maedelsdielesen gelesen und hatten am Freitag ein sehr interessantes und sympathisches Interview mit @pierrejarawan. Schaut es euch gerne an und lest (oder hört) das Buch! ;)
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